Schönstatt: Wer genau ist Pater Josef Kentenich?

Eine Analyse der Beschuldigungen gegen ihn

Enrique Soros, für Zenit – Spanisch

Am 2. Juli hat die Zeitung „The Washington Post“ einen Artikel veröffentlicht, in dem sie auf eine Nachricht der Agentur AP hinwies, laut der die Historikerin Von Teuffenbach gesagt hatte, dass der Apostolische Visitator bei der Schönstatt-Bewegung, Pater Sebastian Tromp, in den 50er Jahren „eine glaubhafte Aussage zu sexuellem Vergehen gegen mindestens eine Schwester erhalten habe“, die sich auf eine Schönstätter Marienschwester bezog. 

Dieser Bericht, der in verschiedenen Medien veröffentlicht wurde, ist in der Tat unglaubhaft (sowohl unglaublich als auch falsch) und bezieht sich einfach nur auf einen Satz mit dem Pater Kentenich einer Schwester mit sexuellen Komplexen helfen wollte, indem er sie motivierte, ihren eigenen Körper und ihre Sexualität zu akzeptieren.

Es ist auch falsch, neben anderen Unwahrheiten, die in den Medien verbreitet wurden und aus derselben Quelle stammen, zu behaupten, Kentenich sei als Strafmaßnahme ins Exil geschickt worden. Es handelte sich nur um eine Verwaltungsmaßnahme zum Zweck der Untersuchung Schönstatts, ohne vom Gründer beeinflusst zu werden. Darüber hinaus gab es nie eine formelle Anklage gegen ihn durch die Kirche, was damals die Behandlung derjeningen war, die von der Kirche untersucht wurden. Pater Kentenich beantragte, eine formelle Anklage gegen ihn zu erheben, um seine Verteidigung ausüben zu können, aber dies ist nie geschehen.

Zum Päpstlichen Gericht (Sanctum Officium)

Das Päpstliche Gericht geht auf die Congregatio Romanae et universalis Inquisitionis zurück, die 1542 von Papst Paul III gegründet wurde. Diese hat Pius X 1908 in „Heilige Kongregation des Heiligen Offiziums“ umbenannt. 

Konfrontiert mit Klagen, dass seine Methoden extrem partiell, unflexibel und unerbittlich in ihren Untersuchungen und Auferlegungen seien, unfähig, Zusammenhänge und innerliche Prozesse zu verstehen, definierte Paul VI 1965 ihre Struktur neu und nannte es die Heilige Kongregation für die Glaubenslehre.

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Nachdem das Heilige Offizium alle Dekrete Pater Kentenichs außer Kraft gesetzt hatte (20. Oktober 1965) und Papst Paul VI diese Entscheidung ratifiziert hatte (22. Oktober 1965), hatte Pater Kentenich  eine Audienz bei Papst Paul VI (22. Dezember 1965).

Das Heilige Offizium hat nie irgendeine Art von sexuellem Missbrauch erwähnt

Pater Tromp, holländischer Jesuitenpriester, verfasste auf Wunsch von Papst Johannes XXIII Dokumente zur Vorbereitung des Zweiten Vatikanischen Konzils, damit man sie eventuell ohne große Diskussion verabschiede. Die Konzilsväter wehrten sich dagegen, und das Konzil richtete sich nur nach den Konzilsbischöfen und ignorierte die Dokumente, die Tromp vorbereitet hatte.

Dieser Priester, Apostolischer Visitator in Schönstatt, untersuchte Schönstatt nach dem System des Heiligen Offiziums, indem er exklusiv einige Schwestern anhörte, die den pädagogischen und pastoralen Stil von Pater Kentenich kritisierten und interessierte sich nicht für das Zeugnis der übrigen 1.700, die diesen Stil schätzten, wodurch sie auf dem Weg einer grundsätzlichen Selbstverwirklichung und auf dem Weg einer verantwortlichen und fruchtbaren Heiligkeit waren.

Tromps Auftrag war es, mögliche Abweichungen und nicht die Tugenden Schönstatts zu suchen, aber er hat nie Pater Kentenich eines sexuellen Vergehens bezichtigt.  Den erwähnten „Vorfall“ mit der Schwester, auf den sich die Medien beziehen, hat Tromp mit einer emotionalen Abhängigkeit der Schwester vom Gründer von Schönstatt verbunden, enthält aber keinen Hinweis auf eine Abweichung oder sexuellen Missbrauch in Kentenich.

Pater Kentenich erklärt später, dass sich seine Aufgabe nicht darauf beschränkt, dass die von Gott ihm anvertrauten Seelen Vorschriften der Kirche befolgen, sondern er ist dazu berufen die Seelen von Grund auf zu heilen, einschließlich die nicht angenommene Sexualität und andere psychologischen Komplexe.  Er sah darin eine persönliche Mission in der Kirche, die in Zeiten vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil tabu war, was offensichtlich in Teilen der Kirche weiterhin noch so ist. Dabei fragen wir uns, ob es heute einen Medienbericht geben würde, wenn ein Psychologe oder Psychiater einer Person mit sexuellen Komplexen helfen wollte und ob man das dann in den Massenmedien veröffentlichen würde als ein Missbrauch.  Das hat das Heilige Offizium und auch nicht die Kirche mit Pater Kentenich getan, aber überraschenderweise hat es die erwähnte Historikerin so getan, und manche Medien haben es veröffentlicht, ohne nachzuforschen.

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P. Kentenich mit Familien

Andere Anschuldigungen

Nun hört man auch von Aussagen einiger Schwestern, die pädagogische und psychologische Methoden von Pater Kentenich in Frage stellten. Das hat viele Leute bewegt. Sie wurden genau so veröffentlicht, wie das Heilige Offizium damals mit P. Kentenich vorging: einseitig und ohne zu erklären in welchen Zusammenhängen die möglichen Fälle entstanden sind, weder in der Gelegenheit, in der sie geschrieben wurden, noch in der emotionalen oder psychischen Realität ihrer Autoren, noch zusammen mit dem Zeugnis tausender anderer Personen mit diametral entgegengesetzten Erfahrungen über die Pädagogik Pater Kentenichs.

Es ist nicht meine Aufgabe diese Aussagen zu erklären, die auch mich sehr bewegt haben. Bei meinen Recherchen fand ich kohärente Antworten, indem ich alles in einen Kontext stellte, was die Medien, wie ich oben sagte, nicht getan haben.

Der Bischof von Trier, Stephan Ackermann, zu dessen Diözese Schönstatt gehört und wo der Heiligsprechungsprozess von Pater Kentenich läuft, hat eine neue geschichtliche Kommission ernannt, die systematisch die Tatsachen, die heute aktuell sind, untersucht. Zur gleichen Zeit hat die Schönstatt-Bewegung eine Forschergruppe, die aus 12 Persönlichkeiten aus verschiedenen Ländern besteht, eingesetzt, um objektive Antworten auf diese Themen zu finden. 

Über die Wichtigkeit der Wahrheit für Schönstatt sagt Pater Angel Strada, Postulator der Heiligsprechung von 1997 bis 2017, „Mir ist die Heiligsprechung der Wahrheit vorrangig, alles andere kommt an 2. Stelle“.

Anmerkungen des General-Präsidiums von Schönstatt

Pater Juan Pablo Catoggio, Vorsitzender des Generalpräsidiums der Schönstatt-Bewegung hat am vergangenen  2. Juli mitgeteilt : „Pater Kentenich hat dem Visitator und seinen Vorgesetzten auf den Vorwurf des Machtmissbrauchs ausführlich geantwortet und sein Denken, seine Prinzipien und sein Verhalten offengelegt. Josef Kentenich wurde 1965 bzw. 1966 nach einem 14jährigen Exil die Rückkehr nach Schönstatt erlaubt. Die Dekrete, die ihn von seiner Gründung trennten, wurden aufgehoben, die Causa des Gründers an die damalige Religiosenkongregation zurückgegeben. Damit konnte er wieder seine Gründerstellung im Schönstattwerk einnehmen. Faktisch ist damit auch der Vorwurf des Machtmissbrauchs entkräftet”.

Bevor ein Heiligsprechungs-Prozess eröffnet wird, muss die  Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse ein nihil obstat (Einspruchsfreiheitserklärung) abgeben, das auf Akten ihres Archivs begründet ist und nachdem sie andere Kongregationen der Kurie befragt hat. Im Fall eines begründeten Verdachts auf moralisch falsches Verhalten des Heiligsprechungs-Kandidaten, gibt es kein grünes Licht zum Start des Prozesses. Die Kongregation für die Glaubenslehre – ehemals Heiliges Offizium – wurde befragt und sprach sich für das nihil obstat aus, das nachher die Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, nach gründlichen Nachforschungen erteilte.

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Schönstattfeiern zum 100. Jubiläum – Oktober 2014

Pater Kentenichs Menschenbild

Pater Kentenich konzipierte in seinem Herzen einen neuen Menschen als Abbild des Edelmuts, der Reinheit und Harmonie von Jesus und Maria.  Er hat nie etwas vorgeschlagen, was er nicht selbst vorher gelebt hatte.  Seine wichtigste Mission für die Kirche und die Welt sah er in der persönlichen Integrität, eine Person mit einer gesunden Gefühlswelt, die konsequent und transparent handelt und dadurch für die Gnade Gottes offen ist.

Er sah, dass das der beste Beitrag wäre, den er der Kirche schenken könnte: organische Menschen, die Natur und Gnade vorbildlich und harmonisch verbinden, ohne menschliche Schwächen, Sünde und Begrenzungen zu vergessen. Deshalb gab er der Psychologie in pädagogischen Prozessen einen so wichtigen Stellenwert, den die Kirche zu seiner Zeit nicht verstehen konnte.

Der Wert der Reinheit bei Kentenich

Die Unbefleckte ist für ihn nicht nur eine Frömmigkeit sondern ein großes Ideal das anzustreben ist.  Eines Tages sagte er zu einer jungen Frau, die später Schwester M. Petra geworden ist: “Wenn es Ihnen gelingt, nur ein ein Mädchen als eine kleine Maria zu formen, wird Ihr Leben ein unglaublicher Erfolg gewesen sein”.

Wer eine Schönstätter Marienschwester kennt, der kann, glaube ich, mit mir sagen, dass ihr Frohsinn, ihre Dienstbereitschaft, ihre innere Freiheit, ihre großzügige Hilfe dem Nächsten gegenüber, ohne dabei offensichtliche Begrenzungen zu übersehen, eine Form der Gegenwart Mariens im Ideal von Pater Kentenich ist.

Die Wahrheit kommt nur zum Vorschein wenn man die Zusammenhänge berücksichtigt 

Ich habe immer schon gesagt, dass es sehr schlecht ist, eine Person nach Dingen, die plötzlich auftauchen, zu beurteilen und die nicht zu vereinbaren sind mit Gewissheiten, die wir von der Person hatten. Es sollte nicht anders sein mit Pater Kentenich. Alles muss nach vorausgegangenen Zusammenhängen analysiert werden, nichts auslassend und mit unbedingtem Halten an der Wahrheit.

Meinerseits, und das ist offensichtlich eine persönliche Meinung, bin ich nach begründeten Zweifeln, die jeder Analytiker und seriöser Beobachter haben muss, der Heiligkeit von Pater Kentenich sicher. Ich habe ihn nicht persönlich gekannt, aber mehr als 50 Jahre lang bin ich mit unzähligen Personen in Kontakt gewesen, die ihn gekannt haben, und alle haben mir gezeigt, dass Pater Kentenich eine Vater-Figur mit einer Pädagogik war, die half, das Beste aus dem Menschen herauszuholen. Er war auch allen, die sich ihm näherten, eine großzügige Hilfe.

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Feiern zum 100. Jubiläum der Schönstatt-Bewegung mit Papst Franziskus

Schönstatt, ein Kriegskind

Als seine geistigen Kinder sind wir uns bewusst, dass Schönstatt eine große und tiefgreifende Mission für die Kirche hat, die eng mit der Person des Gründers verbunden ist, und dass es berufen ist, diese in Einheit mit vielen anderen Charismen zu erfüllen. Schönstatt wurde gegründet als gerade der Erste Weltkrieg bereits ausgebrochen war, hat den Zweiten Weltkrieg mit den Nazis überstanden, und wurde mit dem Exil von Pater Kentenich auf die Probe gestellt, das mit seiner Befreiung durch Paul VI endete. Schönstatt hat im Lauf der Zeit gezeigt, dass es ein „Kriegskind“ ist. Dadurch ist Schönstatt nicht besser und nicht schlechter.  Aber wir wissen, dass es keine Mission ohne Prüfung gibt, und je größer die Mission ist, umso größer sind die Prüfungen. Das gilt für alle. 

Ich persönlich glaube, dass Gott diese Prüfungen zulässt, um in erster Linie unsere menschlichen Schwächen anzuzeigen. Wir sind aus Erde geschaffen und wir können nie glauben, dass irgendetwas unser eigenes Tun ist. Wir sind nur ganz schwache Instrumente, aber gleichzeitig haben wir die große Würde der Kinder Gottes, überaus geliebt, und ausgeschickt die Liebe Gottes in die Welt zu bringen.  Zweitens bin ich überzeugt, dass Gott diese Prüfungen zulässt, um in der Kirche den Wunsch zu erwecken das Charisma von Pater Kentenich zutiefst kennen zu lernen. Ich bin innerlich überzeugt dass all dies den Heiligsprechungsprozess beschleunigen wird.  Die Wege Gottes sind geheimnisvoll.

Rebell Gottes

 Der Deutsche Theologe, unabhängiger Journalist bei Radio, Fernsehen und Zeitungen und Biograph großer christlicher Persönlichkeiten, Christian Feldmann, schreibt: „Ich bin kein Schönstätter. Pater Rudolf Amman vom Patris Verlag versuchte mich für eine Biographie des Schönstatt-Gründers zu begeistern. Um mit einer überzeugenden Begründung ablehnen zu können, befasste ich mich um ersten Mal näher mit Joseph Kentenich – und war zunehmend fasziniert. 

Ich begegnete einem leidenschaftlich in den guten Gott und gleichzeitig in alle verzweifelten, enttäuschten, um sich selbst kreisenden Menschen verliebten Priester, der die müde Hoffnugslosigkeit der zeitgenössischen Christenheit einfach mit seiner stürmischen Begeisterung überrollte. Der sich nicht mit zaghaften Plänen für heute zufrieden gab, sondern gleich vom “Übermorgen” träumte, von einer wieder jung gewordenen Kirche mit strahlendem Gesicht, von einem neuen Menschen und einer gerechten, friedlichen Weltgesellschaft.

Wie gelang es diesem nicht sehr robusten Priester, KZ und Dunkelhaft, die demütigende Verbannung durch römische Behörden und vierzehn Jahre im Exil ohne Verbitterung zu überstehen und immer nur lächelnd vom “Vorsehungsglauben” zu reden? Wo nahm dieser alte Mann seine Kraft her? Dies ist die atemberaubende Liebesgeschichte zwischen Gott und dem Menschen Joseph Kentenich”. 

Feldmann schrieb am Schluss das Buch, dass er nicht schreiben wollte. Der Text oben in Anführungszeichen ist die Einleitung seines Buches “Gottes sanfter Rebell: Joseph Kentenich und seine Vision von einer neuen Welt”.

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Überprüft von P. Angel Strada, Postulator im Heiligsprechungsprozess von P. Josef Kentenich zwischen 1997 und 2017.

Übersetzt von Hildegund Schmid

Zenit, 10. November 2020, Übersetzung vom original Text auf Spanisch

Enrique Soros ist ein Kommunikator, Schriftsteller, arbeitet als Pastoralreferent in der Erzdiözese Washington, in Pastoral- und Kommunikationsprojekten in Lateinamerika, arbeitet mit dem CELAM, dem Lateinamerikanischen Bischofsrat, zusammen und ist Berater der Kommission für Laien, Ehe, Familienleben und Jugend der Katholischen Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten.